Drangsal schöpfen in neuem Album völlig Neues aus dem Untergang
- Carlotta
- 13. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Ein Neustart. Drangsal legen mit ihrem vierten Longplayer Aus keine meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen zugleich ein Debüt hin: Das neue Werk enstand erstmals in der frisch gegründeten Dreierkonstellation aus Max Gruber, Marvin Holley und Lukas Korn. Drangsal, vor allem bekannt für 80s-reminiszierende Tracks wie "Love Me Or Leave Me Alone" und "Allan Align" oder für Indie-Klassiker wie "Turmbau zu Babel", schlagen nun völlig andere Kapitel auf und ziehen einen Spannungsbogen über insgesamt siebzehn Songs.

Manchmal muss man alles einreißen, um etwas noch Größeres daraus zu schöpfen. Oder, wie im Falle von Drangsal, das Alter Ego stumm und leise beerdigen. Auch wenn das neue Album Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen unter dem Zeichen des Neuanfangs und dem metaphorischen Zugrabetragen des nun vergangenen Soloprojekts steht, fand all das in den letzten Jahren relativ leise statt. Nach der Tour zum letzten Album Exit Strategy verschwand Max Gruber alias Drangsal einfach von der Bildfläche - ohne Ausblick. Nun ist er wieder da. Immer noch unter dem Namen Drangsal, aber die Kunstfigur ist passé: Hinter Drangsal steckt nun ein dynamisches Dreiergespann bestehend aus Max Gruber, Marvin Holley und Lukas Korn, deren unterschiedliche musikalische Werdegänge das Projekt Drangsal nun in neue Höhen stemmen.
Noch einmal alles auf Anfang, bitte!
Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen entpuppt sich als radikal anders im Vergleich zu den Vorgängern Harieschaim (2016), Zores (2018) und Exit Strategy (2021). Das Soundbild ist insgesamt ruhiger, zurückgenommener und weitaus deutlicher geprägt von Akustikgitarren, Orgeln und ähnlich sanften Streich- und Tasteninstrumenten, wie beispielsweise in "Ich hab von der Musik geträumt" oder dem Opener "Love Will See Us Through This". Letzterer wird übrigens auf Englisch gesungen; ein Novum seit des mittlerweile zum Indie-Klassiker avancierten Zores. Der Wechsel zwischen dem Englischen und Deutschen passiert auf diesem Album so natürlich, dass er nicht einmal wirklich auffällt. Gruber, der die Texte für den Trio-Longplayer geschrieben hat, beweist, dass seine besondere Art zu Texten in jeder Sprache heraussticht. Die typisch drangsalesken Binnenreime, schwindelerregenden Metapher-Stränge und mehrdeutigen Bilder finden sich ebenso in den Worten des neuen Albums wieder.
Die neue Konstellation wirkt befreiter, lässt Experimente und verschiedene Einflüsse zu, die vorher keinen Platz hatten. Songs wie "FKA M & M 1" oder "Your Fears Are Well-Founded" spiegeln das sehr deutlich. Die Instrumentals wirken wie Querschnitte der neuen Drangsal, zeigen die Breite der Klangpalette und gleichzeitig, wie viel die Drei probiert haben. So klingt es ebenfalls nur richtig, dass auf diesem Album beinah disco-ähnliche Eskapaden ("Pervert The Source") auf schon fast dem Jazz oder Blues zuzuschreibende Momente ("Wheelgreaser") treffen. Trotz der Kohärenz des Albums, scheint Freiheit durch und erweckt den Eindruck, dass Gruber, Holley und Korn einfach mit Spaß losgearbeitet haben.
„Wie viel man uns auch zu fressen gibt / Mit jedem Bissen wächst unser Appetit / Selbst wenn der Hammer des Herrn dann auf uns niedergeht / Wollen wir mehr”
Drangsal in "Funke & Benzin"
Einige Songs stechen für mich bereits jetzt unglaublich heraus. So zum Beispiel "Wheelgreaser", der sich bei den Albumpreview-Shows letztes Jahr direkt in mein Herz katapultiert hat. Das Instrumental wirkt ungewohnt fröhlich für (ehemalige) Drangsal-Verhältnisse und motiviert zum Tanzen, ähnlich wie der bereits ausgekoppelte "Pervert The Source". Im Vergleich zu den ersten drei Alben, fühlt sich Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen deutlich mehr Upbeat an. Eher Tanzfläche statt reinem Moshpit. Liedermacher statt knallendem Indie-Rock. Dennoch gibt es auch auf dem nun erschienenen Longplayer klassische Rock-Aufs-Maul-Momente, wie in "Die satanischen Fersen" oder der Gewitter-Explosion von "Funke & Benzin". Letzterer hat sich für mich als weiteres Highlight dieses gewaltigen Albums entpuppt. Nicht zuletzt wegen der Eingängigkeit und den verzerrten Gitarren. Ähnlich verhält es sich mit "Nation of Resignation", dem längsten Song der Platte mit stolzen 6:40 Minuten.
Zwischen Features, Klanggedichten und ansteckender Spielfreude
Neben der komplett neuen Konstellation und Klangbreite findet sich eine weitere Neuheit auf Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen: Mit "Mein Mo(nu)ment" gesellt sich das allererste Feature in die Drangsal-Albumhistorie. Die düster säuselnde Stimme der CULK-Sängerin Sophia Blenda geht unter die Haut und webt sich perfekt in das Gesamtkonzept ein. Gegen Ende der Platte taucht mit "Rosa" direkt das nächste Feature auf – wenn man das überhaupt so nennen kann. Denn auf "Rosa" trägt die Schauspielerin Rosa Lembeck ein Klanggedicht vor, untermalt von klimpernden Soundelementen, wodurch der Track sehr retro und zugleich zeitlos herüberkommt. "Mein Mo(nu)ment" und "Rosa" fangen eine weitere Facette der neuen Drangsal-Band ein und lassen die ersten drei Alben fast wie beklemmende Enge erscheinen.
Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen schließt mit dem siebzehnten Song "Ein Haus". Vielleicht liegt es nur daran, dass ich 2022 ziemlich gut mitverfolgen konnte, wie Drangsal dem Ende näherkommt, aber für mich klingt der Albumcloser nach einer Art "Was bisher geschah". Nach Veröffentlichung gehören die Songs auf eine Art jeder Person, die sie hört. Und so die Interpretation. So spiegeln die letzten Worte des Albums "Lass mich gehen" für mich das große Bild des Albums: Die Kunstfigur Drangsal ist beerdigt worden und Hörer*innen müssen das akzeptieren. Und wie sollte man das auch nicht? Die neue Drangsal-Konstellation strahlt eine Energie aus, die unfassbar ansteckend ist. Nicht nur auf dieser fantastischen Platte, sondern auch live, was die ersten Festivalauftritte bewiesen haben.
Drangsal haben ein wirklich innovatives, eindrucksvolles Werk vorgelegt, das unglaublich kohärent und doch experimentell scheint. Gleichzeitig klingt Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen wie ein Intro in das, was wir in Zukunft von der Konstellation Gruber, Holley und Korn erwarten können. Wahrscheinlich ist die Bezeichnung "Debütalbum" nicht ganz fern von der Realität, denn von den ersten drei Drangsal-Alben findet sich hier wenig – was jedoch erfrischend ist. Die Songs klingen weitaus weniger düster, als ob Gruber sich in dem Triptychon seines vorherigen Schaffens verheddert und nun gelöst hätte. Während das letzte Solo-Album Exit Strategy nach einem Ende strebte, schöpft der aktuelle Longplayer nun aus dem Neuanfang. Neue Band, neuer Sound und wahrscheinlich der Beginn einer ganz anderen Trilogie, die Spannendes bereithält.
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