"Lonely Hearts Club" - neue Single, neues Album und eine neue Bundesregierung. Der Februar ist für die Künstlerin MODULAR vollgepackt mit "Höhepunkten". Wir haben sie zum Interview getroffen und mit ihr über Genregrenzen, politische Einflüsse und ihr frisch angekündigtes Album zu sprechen.

Dein Solo-Projekt MODULAR existiert jetzt schon zwei Jahre lang. Was sind Kernelemente, die du für dich jetzt festlegen konntest?
MODULAR: Authentizität. Alles, was in Musik und Textform authentisch ist, was man selber richtig doll fühlt, das werden auch andere Leute fühlen können. Kunst ist es, wenn du es schaffst, andere Leute damit zu bewegen und Gefühle zu provozieren. Das muss nicht immer positiv sein, das kann auch negativ sein, wütend oder traurig machen. Das hat sich bei mir herauskristallisiert. Bei der allerersten EP war ich noch nicht so ehrlich und nahbar, wie ich es mittlerweile bin. Das ist voll schön, aber birgt natürlich auch so ein paar Gedanken wie: "Oh, das ist viel aufregender, wenn du wirklich aus deiner tiefsten Seele irgendwas schreibst. Wie reagieren da die Leute drauf?" Aber das funktioniert für mich: Nahbar und authentisch zu sein und das zu sagen, was ich denke - sowohl politisch als auch menschlich.
Fällt es dir manchmal immer noch schwer nahbar und authentisch zu sein, wenn du daran denkst, wie es wie bei anderen ankommen könnte? Oder fühlt es sich inzwischen natürlich an?
MODULAR: Es birgt natürlich immer Schwierigkeiten oder Sachen, die Angst machen können. Wenn du irgendwelchen Norberts deine Gefühle vor die Füße kotzt und die stehen nur da und bewerten deine Musik anhand von irgendwelchen Faktoren, die wichtig sind - oder auch nicht. Natürlich macht man sich da noch sehr viel verletzbarer. An manchen Tagen ist es leichter und an manchen Tagen schwerer. Meine lieben Leute und auch Fans, die mich so umgeben, unterstützen mich in meiner Ehrlichkeit. Gleichzeitig gibt es, umso größer das Projekt wird, umso mehr Leute, die das auch nicht so gut finden. Das ist normal und cool, weil ich finde auch nicht alles geil. Die Mitte macht es. Und es wird nie leicht werden, ehrlich zu sein.
Jetzt gehört zu deinem Projekt ein großer Aspekt der Ästhetik. Du warst davor Fotografin für verschiedene deiner Wegbegleiter:innen, wie zum Beispiel Mia Morgan. Welchen Einfluss und Stellenwert hat Ästhetik für dich in deinem Projekt?
MODULAR: Einen riesengroßen. Dadurch, dass ich Fotografie gelernt habe, ist mir ästhetisches Bild und eine Holistik in so einem Projekt ganz wichtig. Außerdem finde ich es sehr schön, dass ich nicht nur meine Stimme und meine Musik als Ventil nach außen habe, sondern mich auch mit meinen Outfits, meinem Bühnenbild und mit dem, wie ich meine Band anziehe, ausdrücken kann. Mir ist es sehr wichtig, dass da alles zusammenpasst und stimmt und man denkt, wow, das ist irgendwie cool. Das bildet ein Gesamtkonstrukt und gewährt den Leuten quasi Zugang zu meinen innersten Gefühlsding - was ich ausdrücken möchte mit MODULAR.
Deine Musik wurde am Anfang oft mit dem Begriff der "Neuen neuen deutschen Welle" bezeichnet. Du hast selbst gesagt, die Bewegung wurde und wird oft falsch verstanden. Wie stehst du zu dem Label?
MODULAR: Für viele Menschen gibt es "NNDW" als Genre. Da zähle ich jetzt mal Nils Keppel, Edwin Rosen, SKUPPIN und mich unter anderem auch rein. Darin kann man gerade mal eine erste Idee verstehen. Das ist halt dieser dunkle Wave-Sound, so wie die "Neue deutsche Welle" auch früher anfing: Wir machen es anders als die anderen, wir machen es nicht hochproduziert poppig, sondern wir machen es aus der Emotion heraus. Wir machen es so crappy wie es geht und das ganz verhallt und keiner kann wirklich singen und wir schreien unsere tiefsten Emotionen. Der Unterschied zwischen heute und früher ist, dass wir nicht mehr so politisch sind - leider. Das finde ich schade, aber betrifft halt unsere Generation. Ich bin nicht sauer oder böse, wenn man sagt, dass meine Musik "NNDW" ist. Aber mittlerweile hat meine Musik nicht mehr so viel mit dieser Wave-Geschichte zu tun. Sie ist fluid und ich will mich gar nicht in die Schublade einordnen und dann da bleiben. Ich will den ganzen Schrank, nicht nur die eine Schublade.
Du hast den politischen Aspekt angesprochen. Der ist gerade die ganze Zeit omnipräsent: Die Wahl im Februar und bevorstehende Kürzungen in der Kulturbranche. Wie empfindest du es gerade beruflich Musik zu machen und in so einer Zeit ein Album zu veröffentlichen?

MODULAR: Boah, ich beiße ein bisschen in den Tisch, ehrlich gesagt. Mir fällt es sehr schwer Musik zu promoten, die nicht unbedingt mit der politischen Lage zu tun hat. Ich schreibe Musik, die nicht komplett asozial, brachial in die Fresse politisch ist. Meine Künstlerpersönlichkeit und ich als Mensch sind aber sehr politisch. Also beschäftigen mein Team und ich uns gerade jeden Tag mit rechter Hetze und versuchen auf Augenhöhe zu diskutieren und mit Argumenten zu enthebeln. Politische Bildungsarbeit ist ganz wichtig und wir dürfen die Spaltung nicht noch größer werden lassen und müssen irgendwie Banden bilden. Und die einzige Möglichkeit, aus seiner Bubble auszutreten, ist halt nun mal das Internet. Es ist ein ganz großer Punkt, der mir riesig doll am Herzen liegt. Und nicht jede:r Künstler:in muss sich politisch positionieren, auch wenn ich es mir wünschen würde, aber ich erwarte das von niemandem. Ich wünsche mir für viele Newcomer:innen, dass sie trotzdem weitermachen, weil Musik - jetzt wird es kitschig und hoffnungsvoll - für viele Leute eine Form der Flucht sein kann, ein schöner Ausweg, sich dieser politischen Scheiße mal zu entziehen. Ich selber versuche mich auf das zu besinnen, was gerade gut ist, und das, was funktioniert. Und trotzdem auch meiner eigenen Kunst die Aufmerksamkeit zu schenken, die ich irgendwie im Stande bin, ihr zu schenken.
Manege frei für MODULAR!
Dein Debütalbum Lonely Hearts Club wird am 23. Mai erscheinen: Inwiefern hat dich das politische Geschehen in deinem Albumprozess beeinflusst?
MODULAR: Meine Songs sind nicht durchweg alle mit politischer Meinung. Die kann man auf jeden Fall zwischen den Zeilen lesen - manchmal doller und manchmal nicht so doll. Mein politisches Ich ist aber verankert mit meinem künstlerischen Ich, du kannst die beiden nicht getrennt voneinander betrachten. Das ist ein paar Schuhe und du brauchst, naja, meistens beide. Also es gibt schon Songs, die sich mit patriarchalen Strukturen beschäftigen, mit meiner Wut auf darauf. Es gibt natürlich auch sehr Ich-bezogene Sachen, die einfach mit mir als Person oder mit uns als, keine Ahnung, Coming-of-Age-Leuten zu tun hat. Manchmal konnte ich das ausklammern, aber es schwingt auf jeden Fall die ganze Zeit mit. War es aber auch immer und wird es auch immer sein. Das Zwischen-den-Zeilen-Lesen ist aber kein Muss.
Wie hat sich das Projekt MODULAR während des Albumprozesses verändert?
MODULAR: Man kommt ja relativ schwer aus seinen Mustern raus. Und ich habe schon gemerkt, dass ich auf jeden Fall meine Muster habe und die Attitude meines Schreibens und meines Gesangs da geblieben ist. Auf der musikalischen Seite hat sich auf jeden Fall ein bisschen was geshiftet, weil ich am Anfang einen sehr krassen Bruch haben wollte. Ich war so: "Keine Synthesizer mehr, wir machen nichts mehr elektronisch!" Dann gab es den Teil, wo ich gesagt habe: "Okay, fuck it, wir brauchen nur noch Synthesizer, es ist ein Elektroalbum." Aber am Ende hat es, glaube ich, geklappt, dass beide sich die Hand gereicht haben und gesagt haben: "Okay, wir haben eine gute Mischung aus allem." Der generelle Sound hat sich auch durch mein Hörverhalten verändert. Ich höre viel mehr Y2K-Indie-Stuff momentan: Two Door Cinema Club, Paramore, diese ganzen Sachen. Und ich bin ein riesen Fan von Chappell Roan. Ich glaube, wenn man genau hinhört - ich will nicht sagen, ich klinge jetzt wie Chappell Roan, weil Gott, sie ist eine Königin - aber man hört die verschiedenen Einflüsse auf jeden Fall raus.
Wie würdest du den roten Faden des Albums beschreiben?
MODULAR: Okay, wir machen ein Bild auf: Das ganze Album findet quasi in einer fiktiven Zirkuswelt der 20er, unserer Generation, statt. Das heißt, es gibt verschiedene Darsteller:innen. Jeder Mensch, der in dieser Bubble, die ich versuche zu kreieren, stattfinden möchte, kann sich einen Zirkuscharakter ausdenken. Wir sind alle zusammen diese große Vorstellung in einem neuen Zirkus, den wir versuchen zu gründen. Es ist ein sehr zeitgebundenes Album, was ich hoffentlich mit Mitte 30 anhören werde und denke: Geil, das hat meine Zwanziger voll gut zusammengefasst. Es ist ein bisschen Rebellion, es ist ein bisschen leidend und mimimi. Es ist aber auch Female Empowerment, bei dem man zusammen in den Boxring steigt und sagt, "Wir schaffen das zusammen". Und gleichzeitig auch sehr: "Hey wir müssen gar nicht alle alleine sein, lass doch irgendwie einen Club machen, wo wir alle zusammen einsam sein können". Weil dieses, "wir sind alle so individuell und alleine und das ist so cool", da glaube ich nicht dran. Ich glaube es ist cooler, wenn wir Banden bilden und zusammen irgendwie in einem Club sind.
Der erste Song des Albums heißt "Lonely Hearts Club" und erscheint heute am Valentinstag. Ich habe den als Weiterentwicklung von "Endlich" auf deiner letzten EP wahrgenommen. Deine Musik würde ich sonst als sehr melancholisch und eher düster beschreiben, aber der Song hat so eine bisher noch nicht von MODULAR bespielte Fröhlichkeit. Wie ist der Song entstanden und was bedeutet er für dich?
MODULAR: Ich saß in einem Café in Hamburg und habe gewartet und war alleine. Ich saß da mit meiner Hündin und habe 34 Zigaretten beim Warten geraucht. Dann ist mir aufgefallen, an wie vielen Tischen Leute alleine sitzen. Keiner redet mit dem anderen und dieses plakative: Guck mal, wie alleine wir alle sind. Aber von außen würden wir eine mega Freundesgruppe abgeben. Dann habe ich diesen Song beim Warten geschrieben. Ich finde, der Individualismus, den wir alle in unseren Zwanzigern leben und erleben, ist voll wichtig und schön. Gleichzeitig dürfen wir nicht vergessen, uns nicht zu ernst zu nehmen. Ich glaube, das ist bei "Lonely Hearts Club" mit die Grundprämisse, die ich da versuche mitzugeben, dass keine*r alleine sein muss. Wir sitzen alle in derselben Vorstellung vom Zirkus.
Ich glaube, was da soundtechnisch auf jeden Fall anders ist, ist, dass es mir als Privatperson tatsächlich ein bisschen besser ging. Und, dass ich einen fröhlicheren Song gefühlt habe zu schreiben, einfach mal eine andere Sound-Welt aufzumachen, die ein bisschen fröhlicher, tanzbarer und zugänglicher ist. Ich glaube, es ist ganz wichtig, auch die anderen Facetten an sich selbst herauszukitzeln. Ich bin dann mit der Skizze zu meinem Papa (Anm. d. Red.: gleichzeitig ihr musikalischer Kollaborateur) gegangen und habe gesagt, das muss klingen wie The Last Dinner Party.
Wer ist Anna?
MODULAR: Eine gute alte Freundin und das Symbolbild einer ganzen Generation.
Banden bilden
Jetzt hast du schon ganz oft über Banden geredet. Das spielt ja auch eine große Rolle in deinem Projekt. Wie wird das Kollektiv Bande 2025 weitergehen?
MODULAR: Wir haben ganz viel vor. Ich bin immer sehr schnell darin, mich zu überschlagen und alles zu wollen. Am liebsten würde ich ein Festival und so viele andere Sachen machen. Wir machen nicht nur Musik, wir machen auch Lesungen und Fotoausstellungen. Wir machen alles. Da muss ich gezügelt werden und ich bin sehr froh über die Kollektivarbeit, die wir mittlerweile haben. Wir werden versuchen mindestens vier Mal im Jahr eine Bande in verschiedenen Städten aufzubauen. Bande ist ja eine unbezahlte Arbeit vom Kollektiv und es ist uns das höchste Credo, dass keine*r über seine Kapazitäten arbeitet. Wir haben alle sehr viel Bock und es steht gerade ganz viel in den Startlöchern. Wir gründen jetzt einen Verein, das ist sehr cool und macht uns die ganzen Sachen noch ein bisschen leichter: Merch und weiterhin Newcomer*innen eine geile Bühne zu bieten, die uns zusteht und die in der männerdominierten Musiklandschaft sonst nicht so easy peasy gegeben wird. Dadurch ist Bande entstanden und das soll Bande weiter bleiben.
Eine letzte Frage zum Abschluss: Was ist gerade ein Song, der dich über Wasser hält?
MODULAR: Das ist eine super Frage. Ich habe eine ganz skurrile Folk-Liebe, über die ich noch nicht gesprochen habe. Ich liebe Folk-Musik, die macht mir gute Laune. Dann will ich in einen Van steigen und ein paar Hühner haben. Aber: Das Honey Glaze-Album kann ich sehr empfehlen. Der Song "Don’t" ist ziemlich geil und spiegelt meine Gefühle wieder: Da will man sich eine Kapuze anziehen und die Springerstiefel schnüren.
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