Die britische Band Lambrini Girls veröffentlicht ihr Debütalbum Who Let The Dogs Out. Es ist eine ungefilterte Abrechnung mit der Gesellschaft zwischen Wut und Humor. Niemand bleibt verschont und das ist gut so.

Als ich das Album starte, drehe ich mich um, weil ich Angst habe, dass ich einem Krankenwagen den Weg versperre. Dann setze ich meine Kopfhörer ab. Hinter mir ist nichts und niemand. Es ist so still, wie es auf einer Straße halt ist. Kopfhörer wieder auf, zwei Sekunden später setzen Schlagzeug und eine schrammelige Gitarre ein - es ist das Intro zu "Bad Apple".
Schon seit der ersten Veröffentlichung der Lambrini Girls "Help Me I’m Gay" 2022 wird deutlich, dass sie keinen Bock haben. Keinen Bock auf Sexismus und Macker, Queer- und Transfeindlichkeit, auf Kapitalismus und Great Britain. Sie sind wütend. Und wohin mit all der Wut? Am Besten in queer-feministischen Punk! Die FLINTA*-fronted Band zerreißt jegliches Blatt vor dem Mund in so viele Teile wie nötig und schreit sich ihre Wut aus dem Leib, allen voran Frontsängerin und Gitarristin Phoebe Lunny.
Wuff Wuff
Für ihr Debütalbum sucht sich die Wut neue Themen: Who Let The Dogs Out ist eine komödiantische, manchmal obszöne Abrechnung mit allem was falsch läuft, eine Sozialkritik in elf Songs, ein "Ach, was ich dir übrigens schon immer sagen wollte" – Mic-Drop inkludiert. Seit dem Beginn des Projekts Lambrini Girls überzeugt vor allem ihr Liveauftritt: Moshpits aller Form, eine Phoebe mittendrin und eine unglaubliche Energie. Genau die ist auch auf dem Album zu finden. Rotzig, witzig und klug verbinden die beiden Britinnen Lunny und Lilly Macieira (Bass) Text mit der punkigen Soundästhetik. Schlagzeug liefert Banksy – also nicht DER Banksy, Banksy halt.
"and that’s on nepotism"
Die Kritik durchläuft verschiedene Themenfelder: Kritik an der Musikbranche gab es schon auf der You’re Welcome-EP. "Boys in the Band" kritisiert – Überraschung – Männer in Bands und ihre Privilegien: "Give a big hand for the boys in the band who can do everything better than me". Auf Who Let The Dogs Out geht es dann um "Filthy Rich Nepo Bab[ies]", also Menschen, die durch familiäre Kontakte (und Geld) einen leichteren Einstieg in die Branche haben - zu deutsch: Vetternwirtschaft. Berühmte Kinder mit berühmten Eltern machen halt keinen Halt vor der Musikindustrie.
„Money talks / success is bought“
Den größten Teil des Albums widmet die Band der Gesamtgesellschaft. Ob Kritik an weiblichen Schönheitsidealen in "Nothing Tastes As Good As It Feels", Gentrifizierung in "You’re Not From Around Here" oder einer kapitalismuskritischen Interlude, die Gesellschaft bekommt ordentlich eins auf die Mütze. Und Sexismus ist natürlich auch ganz weit oben dabei. Vor allem hier bedienen sie sich mit einem tiefen Griff in der Klischee-Schublade an Fremdzuschreibungen: "Blondes have more fun in company culture" ("Company Culture") oder "Setting boundaries is cunty" ("Cuntology101"). Humoristisch werden die durch Backing-Rufe, imaginäre Dialoge oder einfache Floskeln wie "No Homo" untermalt.
"good in small doses"
Die Instrumentalisierung ist rundum "auf die Fresse", im Chorus noch mehr, glänzt durch fetzige Solos, Fills und vor allem durch präzise eingesetzte Stille. Die fällt vor allem in "Special Different" auf, der einzige Song bei dem spezifisch eine melancholische Ruhe einkehrt. Der Song handelt vom "anders" sein, vom Rausstechen, weil man nicht neurotypisch funktioniert. Kurzum: Es ist eine Hymne der Neurodivergenz. Ach, und mit Liebe und Polizeigewalt wird auch noch abgerechnet.
"Why can’t I just fit in / why can’t I just sit still / Don’t tell me to fit in / don’t tell me to sit still"
Weil das Album so eine breite Range an unglaublich knalligen Lyrics hat, hier meine Top 5:
Michael I don‘t wanna suck you off on my lunchbreak ("Company Culture")
Once again, we’re apologising for your fucked up behavior / when at the end of the day / it’s not that fucking big ("Big Dick Energy")
I like your face, but not in a gay way ("No Homo")
Wouldn’t know what socialism is / if it punched him in the dick ("Filthy Rich Nepo Baby")
Fight the law that fights you harder ("Bad Apple")
Ja, und?
Who Let The Dogs Out ist Punk vom Feinsten. Wütend, humorvoll und lässig arbeiten Lambrini Girls ihre Checkliste an Kritik ab und verpacken sie so ungefiltert, dass es weh tun kann. (Ich hoffe, den richtigen). Das Album ist ein Spiegel der Provokation, in den Mann schauen sollte und in den ich schaue, wenn ich mit meiner Wut nicht alleine sein möchte. Auch gut: Es sind "nur" elf Songs, danach kann man sich beruhigt wieder der Realität entziehen. Aber diese elf Tracks bringen die gesellschaftliche Schieflage auf die Tanzflächen der Festivalbühnen und ins Bewusstsein derer, die es nicht eh schon wissen.
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