Behind The Scenes: Visual/Art-Director Fioni Versace im Interview
- Annika
- vor 50 Minuten
- 8 Min. Lesezeit
Erscheint ein neuer Song, bleibt es selten nur beim Song. Spätestens seit MTV spielt die visuelle Ebene in der Musik eine ähnlich wichtige Rolle: Musikvideos, Pressefotos, Social-Media-Inhalte – all das gehört wie selbstverständlich zu einer neuen Veröffentlichung dazu. Von Berq über Blond bis Kayla Shyx, Visual/Art-Director Fiona Kutscher aka @fioniversace hatte die halbe Indie-Landschaft Deutschland bereits vor ihrer Linse. Ich habe mit ihr über ihre Arbeit in der Musikindustrie gesprochen. Sie hat mir unter anderem von ihrem ersten großen Projekt erzählt, wie sie in diesen Job hineingerutscht ist und was ihr Lieblingsfoto ist.

Möchtest du dich einmal vorstellen?
Fiona: Ich bin Fiona und arbeite unter dem Pseudonym @fioniversace als Fotografin, Videografin und Content Creatorin für andere. Ich sag immer ganz gerne: "I'm just visualizing stuff", ohne das auf Foto oder Video einzugrenzen. Ich sehe mich als kreative Person, die einfach gern Dinge, Ideen und kleine Welten und Bilder visualisiert – in alle Richtungen.
Wie bist du zu deinem Job gekommen?
Fiona: Ich war schon immer ein sehr visueller Mensch und ein sehr kreatives Kind. Das habe ich in meinen Teenie-Jahren ein bisschen aus den Augen verloren und dann nach der Schule erstmal Erziehungswissenschaften und Soziologie studiert. Ich habe währenddessen gemerkt, dass es mir total fehlt, Dinge zu visualisieren. Deshalb habe ich nochmal angefangen Grafikdesign zu studieren und damit den klassischen Weg in die Werbeagenturwelt angestrebt.
In die Musikbranche bin ich durch Freunde gerutscht. 2020 hatte ich meine erste Kampagne, durch die ich in Kontakt mit Leuten von Universal Music gekommen bin. Mit denen habe ich mich super verstanden – vor allem mit den Frauen im Team. Wir haben uns ein bisschen zusammengeschlossen, uns auch mal privat getroffen und so weiter. Da bin ich von Hannover nach Berlin gezogen und habe bei Universal Music als Werkstudentin angefangen. Da war ich dann zwei Jahre bis zu meinem Abschluss und bin jetzt seit fast zwei Jahren selbstständig als visuelle Person.
Und mit welchen Kameras arbeitest du hauptsächlich?
Fiona: Ich bin gar nicht so versteift auf Equipment, weil ich mir denke: Eine gute Idee braucht einfach nur das Werkzeug, um sie umzusetzen. Meine Fotokamera ist die Fuji XT, bei Universal haben wir viel mit der Sony FX gefilmt, ich habe aber auch schon viel mit Blackmagic und Sony Alphas gefilmt. Ich habe auch so eine kleine alte Lumix Digicam, an der man fast nichts einstellen kann, die ich oft mitnehme. Die letzten drei Videos, die ich gemacht habe, habe ich aus Budgetgründen auf meiner Fotokamera gefilmt. Es kann klappen, egal welches Equipment man hat.
Also ist ein größeres Budget schon eine Voraussetzung, um mit dem Job anzufangen?
Fiona: Das ist schon eine Grenze, an die ich auch stoße. Die ersten Jobs, die ich fotografiert habe, habe ich auf einer geliehenen Kamera fotografiert, weil ich einfach kein Geld hatte, mir eine zu kaufen und habe dafür über die Zeit gespart. Letztes Jahr wurde meine Kamera geklaut, auf die ich sehr hart gespart habe und ich musste mir eine neue kaufen. Die stottere ich jetzt in über 24 Monaten ab. Also das ist schon ein Hindernis. Wenn man sich aber zusammenschließt und nette Leute kennt, hilft man sich gegenseitig immer aus und leiht sich mal das ein oder andere.
In der Musikindustrie ist Sexismus ein präsentes Thema, so werden FLINTA* Personen zum Beispiel oft ihre Fähigkeiten abgesprochen. Wie nimmst du das in der Film- und Fotografie Branche wahr?
Fiona: Bei Universal hatte ich das gar nicht. Ich bin im Nachhinein richtig dankbar, dass ich zwei Jahre in diesem geschützten Umfeld in einem ganz tollen Creative Domestic Team meine Erfahrungen machen konnte, wo Fehler erlaubt waren und auch Sexismus keinen Platz hatte. Ich würde sagen, dass ich mir mittlerweile ein bisschen aussuchen kann, mit wem ich arbeite und mit wem nicht. Da lege ich auch viel Wert darauf, hauptsächlich mit FLINTA*-Teams und FLINTA*-Artists zusammenzuarbeiten, weil man da einfach in einem geschützteren Raum arbeiten kann.
Wenn ich durch Jobs, die ich übernehme, in andere Bubbles reintappe und dann ins Gespräch mit anderen Fotografen komme, merke ich manchmal, dass man da schnell beäugt wird, sich fünfmal vorstellt, weil der Name sich nicht gemerkt wird oder im Backstage diesen Gear-Talk reingedrückt bekommt. Manchmal bekomme ich auch mit, dass ein Dude 200 Euro mehr Tagessatz bekommt als ich, obwohl wir die gleiche Arbeit machen. Das kommt schon vor. Ich glaube, dass es im Indie-Pop generell ein bisschen lieber zugeht als beispielsweise im Rap.
Aber ich muss auch sagen, dass ich inzwischen viel mehr Fotografinnen kenne als noch vor ein paar Jahren, dass wir mehr stattfinden und mehr Sichtbarkeit und Jobs bekommen. Ich bin auch sehr froh, dass sich viele Teams mittlerweile bewusst entscheiden, solche Positionen mit FLINTA* zu besetzen, weil sie verstehen, dass das wichtig ist. Aber alles so zu machen, wie wir es gerade machen, wäre als FLINTA* vor zehn Jahren so nicht möglich gewesen. Da kannte ich keine Tourmanagerin, keine Tontechnikerin oder Back-Linerin. Es ist ganz wichtig, sich zusammenzuschließen und das weiter voranzutreiben.

Kannst du dich noch dran erinnern, was dein erstes großes Projekt war?
Fiona: Ich habe immer viel mit Freunden zusammengearbeitet, aber was ich in meiner Zeit bei Universal ziemlich cool fand, war das erste Pressefoto und die BTS-Fotos zu den ersten Singles von Berq. Das hat sich angefühlt wie das erste, richtig coole professionelle Projekt.
Das erste große Projekt, was ich in meiner Selbstständigkeit gemacht habe, war BECKS. Da hat mich ein Kumpel empfohlen, weil der keine Zeit hatte, und ich habe das Cover geshootet, Pressefotos und die Tourgrafik gemacht.
Also ist Netzwerken schon sehr wichtig in deinem Job oder?
Fiona: Auf jeden Fall. Also es gibt tausend Leute, die auf genau dem gleichen Level arbeiten, wie ich. Es gibt auch tausend Leute, die besser sind. Und es gibt tausend Leute, die schlechter sind. Es geht aber viel darum, gerade in so einer etwas lockereren, freundschaftlicheren Branche, einfach eine Personality zu sein. Man muss nicht auf irgendwelche Events gehen und mit wichtigen Leuten reden. So habe ich das nie gemacht, sondern ich habe mich immer auf natürliche Art und Weise mit den Leuten umgeben, wo ich das Gefühl hatte, der Vibe ist cool, man mag sich und man ist vielleicht mittlerweile auch befreundet. Das war immer meine Art von Netzwerken.
Aber die zwei Jahre bei Universal haben sehr viel geholfen. Die Freund*innen, mit denen ich da im Open Space als Werkstudentin saß, die selber Werkis oder Praktis waren, sind jetzt Tourmanager*in, A&Rs, Projektmanager*in oder Product Manager*in. Diese Connection zu haben ist natürlich auch von Vorteil.
Es ist auch sinnvoll, nicht nur mit den wichtigen Leuten, den Artists, Manager*innen und Labels zu networken, sondern auch untereinander. Der Austausch unter uns Visual People ist super wichtig. Ich hab da echt liebe Leute in der Branche gefunden, mit denen ich mich austauschen kann, wo wir uns gegenseitig empfehlen, wenn jemand mal den Job nicht machen kann. Auch über solche Dinge wie Geld und Arbeitsbedingungen zu reden, ist wichtig: Mit wem arbeitet man gerne, mit wem war es vielleicht keine gute Erfahrung aufgrund von Kommentaren, Sexismus, Übergriffen und so weiter. Also das Netzwerken untereinander ist genauso wichtig. Wir sind keine Konkurrenz, wir sind Kolleg*innen und hier nimmt niemand irgendwem was weg. Es ist genug Platz da.
Was, würdest du sagen, sind so Schattenseiten in deinem Beruf?
Fiona: Es ist richtig teuer selbstständig zu sein und die ganzen Versicherungen selber zu bezahlen: Produktionsversicherung, die eigene Versicherung, Steuerrücklagen, Steuervorzahlungen und Steuernachzahlungen. Das hatte ich zum Glück ein bisschen auf dem Schirm, dass ich immer meine 30-40 Prozent für die Steuer von jedem Job zurückzulege. Sich auch zu informieren, welche Krankenkasse die billigste ist, nicht direkt in eine private Krankenversicherung zu gehen, sondern jetzt die paar mehr Euro für eine gesetzliche auszugeben. So man kann sich bei der Künstlersozialkasse bewerben. Diese ganze Bürokratie ist super stressig.
Deine Ideen werden dazu auch immer runter designt. Es gibt immer irgendwelche Leute im Team, die sagen: Das müssen wir anders machen. Daran muss man sich gewöhnen, weil man ist natürlich eine kreative Person, aber auch Dienstleister*in. Das darf man nicht vergessen. Ich finde es auch super wichtig, sein eigenes Ego zurückzuschrauben und seine Rolle in diesem Geschehen verstehen. Werde ich hier als die Künstlerin gebucht, die hier alles machen kann, oder bin ich in der Dienstleistung, die jetzt gerade mal abliefert? Das war schon am Anfang auch eine krasse Schattenseite, das zu realisieren.
Ich habe es am Anfang immer noch sehr persönlich genommen, wenn irgendjemand anders einen Job übernommen hat oder man ausgetauscht wurde. Da muss man sich ein dickes Fell wachsen lassen und lernen, sich selber einzuordnen und nicht seinen Selbstwert davon abhängig machen. Aber diese organisatorischen, finanziellen und auch mentalen Struggles sind auf jeden Fall die Schattenseiten.
Was sind deine Tipps für Leute, die auch in deinem Bereich anfangen wollen?
Fiona: Am Anfang: Vernetz dich mit anderen Kreativen, vernetz dich mit Musiker*innen, mit Leuten aus der Branche, mit denen du erstmal frei zusammenarbeitest. Das ist so nervig, weil man nicht direkt davon leben kann. Ich habe auch drei Jahre nur unbezahlte, freie Projekte mit Freund*innen gemacht. Aber es ist ein total wichtiger Rahmen, um sich geschützt ausprobieren zu können. Dann im nächsten Schritt, kann es passieren, dass eine der Personen, mit denen du arbeitest, auf einmal durch die Decke geht und dich mit nach oben zieht. Das ist jetzt nicht der gängige Weg, aber es ist natürlich schön, wenn man Projekte hat, in denen man über einen langen Zeitraum auch zusammenwachsen kann.
Sonst würde ich empfehlen durch Praktika, Werkstudentenjobs oder ähnliches Berufserfahrung sammeln – in der Branche, in Labels, in Produktionsfirmen, in Live-Produktionen, was auch immer. Einfach, um die Struktur dahinter zu lernen, weil ich es total hilfreich finde, zu wissen, wie arbeitet ein Label, wie funktionieren die ganzen Schritte einer Kampagne? Wie sind die Abläufe, wer ist für was zuständig, wen spreche ich wo an. Um nochmal von anderen Leuten zu lernen, die eigene Arbeit zu professionalisieren und gleichzeitig auch Leute kennenzulernen, auf die man in fünf Jahren nochmal zurückgreift, weil man sich da getroffen hat.
Und abschließend würde ich sagen: Zeig, was du machst. Tyler, the Creator hat neulich gesagt: 'Put yourself out there, you never know who's gonna see your stuff'. Ich glaube man braucht ein gesundes Maß an Selbstvertrauen, aber auch ein bisschen Bodenständigkeit. Man braucht auf jeden Fall Durchhaltevermögen und Ausdauer, um sich durch die vielen Aufs und Abs durchzukämpfen, weil es auch nicht immer leicht ist. Ein emotional und mental gutes Umfeld ist auch wichtig: Leute, die an einen glauben, wenn man selber gerade nicht kann.
Zuletzt würde ich noch gern von dir wissen: Hast du ein Lieblingsfoto oder ein Lieblingsprojekt von dir?
Fiona: Dolphin Love ist ein sehr guter Freund von mir und wir arbeiten da in einem sehr lieben, kleinen Team schon seit Jahren zusammen. 2023 waren wir zwei Wochen in L. A., um einen Kurzfilm zu drehen, weil wir keinen Bock hatten auf die normale Social Media Promo. Das war einfach eine krasse Erfahrung und da sind sehr viele schöne Fotos entstanden, die sehr viel in mir auslösen. Dolphin Love ist ein sehr tolles Projekt und es ist auf Englisch, was ja oft im deutschen Bereich nicht so viel Aufmerksamkeit bekommt. Aber ich finde es wirkt diesem ganzen, einheitlichen Sound, den wir hier mittlerweile haben, sehr entgegen. Es ist eine schöne Abwechslung fürs Ohr.
Eins meiner weiteren Lieblingsfotos ist von UCHE YARA vom Trans Musicales Festival in Rennes 2023, weil die einfach eine krasse Künstlerin mit einer krassen Live-Band ist, die eine insane Energy auf die Bühne bringen.
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