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SPOTTED: "SAYA" von Saya Gray

  • Autorenbild: Birte
    Birte
  • 30. Apr.
  • 3 Min. Lesezeit

Neue Musik zu entdecken ist toll. Aber um ehrlich zu sein: Zwischen neuen Alben, Trends, Künstler:innen und Kollaborationen fällt man oft auf Altbekanntes zurück. Irgendwann stolpern wir unverhofft über ein Album, Musiker:innen oder diesen einen Song, der in der untersten Playlist darauf wartet, wieder entdeckt zu werden. Einmal im Monat kramen wir diese Wiederentdeckungen bei SPOTTED für euch heraus und lassen euch an diesem Hörerlebnis teilhaben.


Ich kann grade nichts anderen hören, nichts anderes sehen und über nichts anderes reden. Das Album ist noch gar nicht so lange draußen, aber: Es hat meine Welt verändert. Nein wirklich. Eigentlich bleibt mir nicht mehr viel zu sagen, deshalb hear me out:


Saya Gray
Foto: Jennifer Cheng

Scheiß auf Bass, Saya Gray will alles!


Ihr zweites Debütalbum SAYA entwickelt bisherige Projekte weiter und formt Folkmusik in ihren eigenen musikalischen Visionen. Ach ja, und dann ist da noch der Teil mit der Selbstermächtigung.


Von rechts nach links wandern Computerklänge und R2-D2-Gepiepe: Saya Gray öffnet ihr "Debütalbum" wie gewohnt experimentell verworren. Was sich nach elektrischen Futuresounds anhört, entwickelt sich schnell zum Klang des Albums: Klassischer Folk mit Countrygitarren und allem drum und dran – und dann noch elektronischen Syntesizer-Samples.


Saya Gray ist Multiinstrumentalistin, der frühe musikalische Einfluss ist fest in ihrer Musik verwoben: ihre Mutter ist Pianistin, ihr Vater Trompter, ihr Bruder Metall-Fan. Grenzen bleiben da außen vor. Nach ihrer Karriere als Bassistin für Daniel Caesar will sie wieder weg vom Bass. Sie sieht Instrumente als Erweiterung ihres Körpers und Kommunikationsweg. Ihre erste Single mischt Singer-Songwriter- und RnB-Elemente mit gemixten Samples zu einem hypnotischen Konstrukt mit Dauerschleifenpotential. Ihre Songs schneiden immer wieder die Grenzen von komplettem Chaos und sortierter Struktur, sie bilden ein Spannungsfeld zwischen Aushalten und Loslassen. Die Lyrics bewegen sich von kryptischen Poesien zu expliziter Message.


You woke up yesterday / I watched the seasons change

– ...THUS IS WHY (I DON'T SPRING 4 LOVE)


Das selftitled Album SAYA ist nach der ersten LP 19 Masters als "Debütalbum" beworben worden: Keine Einschränkungen des alten Labels, volle kreative Freiheit Grays: "Ich habe das Gefühl, dass alles vor diesem Album Experiment gewesen ist." Bemerkenswerter Weise wusste sie, wie es klingen sollte, bevor sie überhaupt angefangen hat. Es ist ein Album der Selbstfindung, -verwirklichung und der Selbstermächtigung. Der Großteil der Tracks behandeln Fremdsteuerung, Unterdrückung und Kontrolle. Das Voodoo-Motiv zieht sich durch das Album wie ein roter Faden:


This will be the last song about you and your voodoo doll fetish

– SHELL (OF A MAN)




Nach dem signifikanten Lo-Fi-Klang des Vorgängers erforscht das Album musikalische Ideen weiter und lässt ihnen den Raum zur Entwicklung. Von simplistischen Gitarrenriffs oder schlichter Klavierbegleitung baut Gray ihre Songs oft Klimax-ähnlich auf. Das beste Beispiel dafür ist "Line Back 22": Gray beginnt mit regnerischen Klavierakkorden und melancholisch halligen Seufzern in den Backingvocals. Hinzu kommt eine maulende Gitarre, klickende Synth-Drums und ein träger Bass. Ein Backing-Chor wechselt sich fast konversationsartig mit der Lead-Stimme ab. Nach dem Refrain taucht eine Koto auf, eine alte japanische Art der Zither mit harfeähnlichem Klang. Ein träumerisches Melodiekonstrukt, dass Gray nach zwei Minuten sprengt. Nach einer kleinen Pause begegnen uns unheimliche Vocalsamples, stählerne stampfende Bassdrums über die sich wirbelnde Trommeln setzen. Und dann kommen noch wierde springende Synths drüber und aus dem nichts kommt ein tiefer "Aaah"-Seufzer. Kurz gesagt: Saya Gray entwickelt komplexe musikalische Strukturen, die sich stetig entwickeln und eine enorme Spannung formen.


Reprise und Bekanntes


Auch wenn das Album für Gray ein neues Kapitel schreibt, finden wir im Closer einen bereit bekannten Song. Quasi eine Reprise der ersten EP QWERTY von 2023. Der Song "PREYING MANTIS !" bekommt in "LIE DOWN…" einen neuen Anstrich. Ein paar Spuren langsamer, ohne Gitarren- und Drumsolo am Ende und deutlich fröhlicher. Quasi eine Erinnerung daran, dass Saya Gray einfach unersetzlich ist und das ganz selbstverständlich, bodenständig und naja – zutreffend:


She can look like me, but she won’t feel like me

– LIE DOWN...



Dann schließt der Song das Album mit ähnlichen Computersounds, wie es geöffnet ist. Allerdings etwas versöhnlicher, als würde jetzt alles gesagt sein, was gesagt werden musste. Und das coole: Selbst beim hundertsten Mal hören, fallen immer wieder neue klangliche Aspekte auf, kleine Überraschungen, die einen in den Bann ziehen – wie Voodoo nur reichlich positiver.


SAYA ist ein Album zum Entdecken, zum Bahnfahren, zum Auf-Dauerschleife-Hören, zum nach Jahren wieder rauskramen, zum Entspannen, zum Wütend sein – kurz um: Ein Album für alle Lebenslagen.





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