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Paul Weber im Interview: "Wohin sollen wir denn wachsen?"

Paul Weber hat heute seine neue EP Von all dem nichts gewusst veröffentlicht. Mit treffenden Worten singt er in kleinen Momenten über die großen Themen unserer Zeit. Ich habe mit ihm im Interview über die Klimakrise, die deutsche Überarbeitungskultur und seinen musikalischen Prozess gesprochen.

Paul Weber | Foto: Tim Löbbert
Foto: Tim Löbbert

Bald kommt deine neue EP Von all dem nichts gewusst heraus. Kannst du einmal den Entstehungsprozess davon beschreiben?


Ich schreibe eigentlich immer in Phasen, gerne im Herbst und Winter. Anfang 2021 hatte ich so viele Geschichten und Themen zusammen gesammelt, dass ich das Gefühl hatte, es ist an der Zeit, das zu vollenden. Vor einem Jahr war ich dann mit meiner Band und meinem Produzenten Dennis Borger eine Woche in Belgien. Da haben wir uns ein Häuschen gemietet und die Platte aufgenommen, die jetzt erscheint.


Warum habt ihr die Platte in Belgien aufgenommen?


Das war eher aus logistischen Gründen. Ich wollte das nicht in Deutschland machen, um ein bisschen Urlaubsgefühl reinzubringen. Weil wir meistens von Köln aus starten, hatte Belgien eine gute Entfernung. Da habe ich ein schönes Landhäuschen gefunden, 30 Minuten von Brügge entfernt, an einem Weg, wo sonst nur der Trecker lang kommt. Das war traumhaft.


In "Irgendwann", dem ersten Song, den du von der EP veröffentlicht hast, geht es um das ziellose vor sich hinleben, von einer Station zur nächsten. Wie würdest du denn deine musikalische Reise bisher beschreiben?


Für mich als Musiker ist das gefühlt eine ziellose Reise, weil man nie so genau weiß, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht. Der Song spiegelt das Gefühl dieser Zeit ganz gut wider.



Du hast auch schon Songs auf Englisch gemacht. Warum hast du dich letztendlich für Deutsch entschieden?


Ich bin in meiner Kindheit hauptsächlich mit englischsprachiger Musik sozialisiert worden. Da war es für mich klar, dass ich das erstmal auf Englisch machen will. Mit dem ersten Album von Wir sind Helden und Clueso und dieser Zeit, da habe ich erstmals deutschsprachige Musik für mich entdeckt. Ich habe dann einige Zeit später gemerkt, dass ich das, was ich zu gesellschaftlichen und politischen Themen zu sagen habe, viel besser in meiner Muttersprache ausdrücken kann.


Nichts gewusst von der Klimakrise

Worum geht es für dich im Titeltrack der EP "Von all dem nichts gewusst"?


Den Song habe ich kurz nach der Ahrtal-Flut geschrieben. Ich saß in Berlin in meiner Küche und hab diese Bilder gesehen und habe mich irgendwie ohnmächtig gefühlt. Einerseits wird schon so lange über den Klimawandel gesprochen, aber auf der anderen Seite passiert so wenig. Es geht im Song über diese Absurdität, dass wir mit 300 km/h Richtung Abgrund brettern und keiner realisiert, dass das böse enden kann, wenn wir als Bevölkerung nicht schleunigst was verändern.


Findest du, das ist ein politischer Song?


Ja, auf jeden Fall. Ich finde politische Songs immer nicht so einfach. Ich bin nicht so dieser Liedermacher im klassischen Sinne, dass ich da mit meiner Akustikgitarre stehe und nur auf Demos singe. Im weitesten Sinne mache ich schon Popmusik. Dabei ohne erhobenen Zeigefinger die richtige Sprache zu finden, war die Challenge bei dem Song. Ich möchte aber in meiner Musik eine Haltung zeigen und mir ist auch wichtig, dass sich das in der deutschen Popmusik widerspiegelt.



Was erhoffst du dir, mit so einem Song zu bewegen?


Ich wünsche mir auf der einen Seite eine Sensibilisierung für das Thema, auch wenn das natürlich gerade schon im Gespräch ist. Am Ende hoffe ich, dass meine Haltung dazu beiträgt, dass Menschen mit denselben Gedanken merken, dass sie damit nicht allein sind. Auf der anderen Seite, dass man vielleicht weitere Leute damit erreichen kann.


Also du meinst die Leute, die noch nicht realisiert haben, dass der Klimawandel ein Problem ist?


Ja voll! Ich singe zum Beispiel "Der Rhein steht im Zimmer, der Wagen in der Küche". Das ist alles so klar. Die Wissenschaft spricht seit 40-50 Jahren davon und wir diskutieren heute über das Tempolimit. Wo man sich doch denkt, in allen Ländern um uns herum gibt es das Tempolimit, nur der Deutsche will mit seinem Porsche Cayenne noch mit 380 Sachen über die linke Spur heizen.


Der Auslöser für den Song war die Flutkatastrophe im Ahrtal. Herausgekommen ist er dann genau vor den Demos in Lützerath. War das Absicht?


Viele Leute haben natürlich den Promo-Move dahinter vermutet. Nein, wir haben den Release-Plan für die EP im August aufgestellt. Da war schon klar, dass dieser Song am 13. Januar kommt und wirklich gecheckt habe ich das auch erst zwei Wochen vorher. Das war kompletter Zufall, hat aber für mich auf eine ironische Weise gezeigt, dass dieses Thema so schnell nicht weggehen wird.


Wenn es an einem anderen Tag rausgekommen wäre, hätte es bestimmt auch einen Anlass dazu gegeben. Wie hast du darauf reagiert, als du gesehen hast, dass das auf diesen Tag fällt?


Einerseits habe ich mich irgendwo gefreut, dass das Thema zum Song passt und dass man einmal dafür sensibilisieren kann, was in Lützerath passiert und dass Leute dahin fahren und sich dafür einsetzen. Auf der anderen Seite war es auch eine traurige Aktualität des Themas. Ich war auch vor Ort und mir hat das Stärke gegeben, zu sehen, dass viele Leute auf die Straße gehen und sich dafür einsetzen. Ich glaube, dass man da als Gesellschaft den Druck nochmal deutlich erhöhen muss und die Politik dann endlich reagiert.


Arbeit bis zum Sekundenschlaf

"110km/h" ist ja aus einem ziemlich krassen Hintergrund entstanden. Kannst du die Geschichte hinter diesem Song nochmal erzählen?


Es war kurz vor Corona, da haben wir die letzte EP fertig produziert und ich war in der Zeit sehr viel unterwegs und ziemlich ausgebrannt. Dann bin ich völlig übermüdet von Berlin Richtung Köln gefahren, am Steuer eingeschlafen und auf der linken Spur in die Leitplanke gefahren. Ich hatte großes Glück, dass weder meinem Beifahrer noch jemand anderem was passiert ist und wir sehr glimpflich davon gekommen sind.


Was hast du durch diese Situation gelernt, das du den Menschen im Song weitergeben wolltest?


Das größere Thema dahinter ist, wie wir als Gesellschaft mit dem Thema Arbeit oder Überarbeitung umgehen. Wenn ich mal einen Tag Pause mache, habe ich schnell das Gefühl, ich sei faul und muss was tun. Ich bekomme das auch aus meinem Umfeld mit. Burnout ist in unserer Gesellschaft eigentlich die logische Konsequenz der Arbeitskultur, die wir so entwickelt haben.



Ich habe das Gefühl, dass das auch ein sehr deutsches Problem ist, dass wir so sehr zur Überarbeitung tendieren und das auch auf eine Art glorifizieren.


Wenn man allein schaut, wie hier mit arbeitslosen Menschen umgegangen wird: Ich kann mich noch an die Zeit Hartz IV mit Arno Dübel und der Bild-Zeitung erinnern. Da wurde so mit einem Kamm über alle arbeitslosen Menschen geschert, nach dem Motto, das seien alles faule Menschen, die haben keinen Bock zu arbeiten und liegen dem Staat auf der Tasche.

Ich glaube, ganz viele Leute würden sich nicht beim Arbeitsamt melden, weil das einfach so verpönt ist.

Ansonsten ist es auch im Trend, immer am Limit zum Laufen. Ich weiß nicht, warum, vielleicht ist das auch diese Start Up-Kultur. Es ist auf jeden Fall was, wo wir dran arbeiten müssen.

Auf der anderen Seite wird auch alles digitaler. Für alles kommen in Zukunft Roboter, und der Arbeitsablauf wird immer leichter, aber trotzdem hat man das Gefühl, die Leute arbeiten genauso viel wie vorher.


Aber der Kapitalismus ist sowieso ein krankes System. Alles muss immer Wachstum sein, wohin wollen wir denn wachsen? Aber ich weiß auch nicht, das ist ein Thema, über das man sich sehr lange unterhalten kann.


Dann sind wir auch schon bei der letzten Frage angelangt. Um nochmal auf den Anfang unseres Gesprächs und "Irgendwann" zurückzukommen- würdest du sagen, du bist angekommen?


Die spannende Frage daran ist ja eigentlich, ob man jemals ankommt. Das klingt jetzt so pseudo-philosophisch, aber: ob nicht das ganze Leben immer irgendwas in Bewegung ist. Man bleibt an jeder Station für die Zeit, die man da halt bleibt. Dass man eher die Ruhe mit sich findet, dass schon alles irgendwie okay wird und dass ich an sich ein sehr privilegiertes Leben führen darf - als weißer Mann in Deutschland. Klar, habe ich auch meine kleinen Sorgen, aber ich kann meine Musik machen und das ist für mich das Schönste. Die Zuversicht zu haben, dass - auch wenn man nicht weiß, was morgen kommt - alles seinen Weg geht.


Ein Grundvertrauen ins Leben also?


Ja voll! Was bleibt uns auch anderes übrig (lacht)? Ich wache einfach mit einem Lächeln auf und frage mich: "Was läuft heute?".

 

Von all dem nichts gewusst wurde am 24. März via Paul Weber veröffentlicht.

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