top of page

Petition gegen Gracie Abrams-Support Dora Jar: Wo bleibt der Respekt?

Autorenbild: CarlottaCarlotta

Als ich Ende Januar auf TikTok gesehen habe, dass Fans von Gracie Abrams eine Petition gegen die frisch als Tour-Support angekündigte Dora Jar ins Leben gerufen haben, war ich wenig überrascht. Für mich wirkte das zunächst einfach wie der Peak einer Erwartungskultur, die durch komplett realitätsferne Social Media-Hypes und fehlende Konzert-Etikette immer anstrengender wird. Das inhärente Problem sitzt jedoch tiefer: Wir müssen über den fehlenden Respekt gegenüber Support-Acts reden und warum sie für unsere Live-Kultur so wichtig sind. Ein Kommentar.

Gracie Abrams vor Hintergrund, der wie ein Himmel aussieht.
Foto: Abby Waisler

Die Petition


Für die, die von der Petition nichts mitbekommen haben und mit Gracie Abrams nichts am Hut haben, rolle ich den Fall kurz einmal auf. Kurz nachdem die Musikerin ihren Opening-Act für die Europa-Tour angekündigt hat, machte eine change.org Petition die Runde, in der Abrams aufgefordert wird, Dora Jar nicht als Support mit auf Tour zu nehmen.


Many fans, including myself, are baffled by the recent announcement that Dora Jar will be the opening act for The Secret Of Us Tour’s Europe shows. We are perplexed as we do not recognize her, and with less than two weeks till the tour, it’s virtually impossible to familiarize ourselves with her slow-paced songs. For a memorable concert experience, an opening act should set the mood and get the crowd excited, but Dora’s slow tempo songs may not achieve this goal.

Auszug aus der Petition


Man kann natürlich spekulieren, wie ernst das alles gemeint ist, wenn der:die Ersteller:in sich "Dexter Morgan" nach der Serie Dexter nennt, dennoch sagt es viel über den aktuellen Zustand unserer kollektiven Konzert-Etikette aus.


Mich hat diese Petition nicht wirklich geschockt, aber sie hat mich angesichts des fehlenden Respekts gegenüber Musiker:innen wütend gemacht. Gleichzeitig hat es für mich erneut gezeigt, dass Fanbases, die vor allem auf Social Media stattfinden, nicht wirklich wissen, wie man sich auf Konzerten verhält. Mal ganz davon abgesehen, dass Dora Jar bereits für Acts wie Billie Eilish und The 1975 geöffnet hat, Abrams‘ Musik ebenfalls eher slow-paced ist und zwei Wochen mehr als genug Zeit sind, um einmal eine "This is"-Spotify Playlist zu hören, bleibt die Problematik dahinter aktuell. Es fühlt sich an, als hätten wir kollektiv vergessen, weshalb Support-Acts so wichtig für Konzerte sind.



Zunächst ist das Prinzip von Supports ja super einfach. Wie die Petitions-Autor:in so treffend sagt, geht es darum, die Crowd anzuheizen und als Teil einer "memorable" Konzerterfahrung einen gewissen Vibe einzubringen. Das ist aber überhaupt nicht an einen Bekanntheits- oder Relevanzgrad gekoppelt. Es geht bei der Wahl des Supports u.a. ja darum, die Ticket-Sales anzukurbeln und kleinen, oft lokalen (Newcomer-)Acts eine Bühne zu geben, damit sie eine eigene Fanbase aufbauen können. Vor allem im Indie-Bereich sind Support-Touren unglaublich relevant, um die Bekanntheit zu erhöhen und so die Chance zu bekommen, mit der eigenen Musik überhaupt Geld zu verdienen. Darüber hinaus sind Support-Acts basically eine im Konzertticket inkludierte, vom Hauptact persönlich kuratierte, menschliche Musikempfehlung. Jede:r Konzertbesucher:in bekommt quasi zwei für eins.


Muss man den Support wirklich kennen?


Dora Jar
Foto: Haley Appell

Der eigentliche Sinn und Zweck von Opening-Acts widerspricht somit komplett dem Vorwurf des:der Petitions-Schreibenden, dass Dora Jar nicht bekannt genug sei. Natürlich gibt es gewisse Wünsche und Ansprüche in Bezug auf die Bekanntheit von Support-Acts. Je größer der Hauptact, desto größer der Support. Vor allem bei riesigen Hallen- und Stadiontouren ist ja meist sogar eher die Rede von "Special Guest" statt Opener oder Support. Taylor Swift hat zum Beispiel bereits etablierte Special Guests als Opener mit auf Tour genommen. In ihrem Fall waren das unter anderem Paramore, Sabrina Carpenter, Phoebe Bridgers und eben Gracie Abrams selbst.


Kleinere Acts, oder was hier passender ist, der Großteil der tourenden Acts, haben meist lokale Artists oder Newcomer:innen dabei, die irgendwie passen und aus derselben Bubble kommen. Die meisten Musiker:innen spielen zunächst selber mehrere Support-Touren, bevor sie erste eigene Headline-Touren spielen können. Denn reale, zahlende Konzertbesucher:innen kommen nicht aus Streams oder Instagram-Follows! Gerade im aktuellen Musikmarkt, der so auf Social Media und Streams fokussiert ist, brauchen Musiker:innen die Möglichkeit, durch Support-Slots Aufmerksamkeit zu erlangen und eine eigene, organische sowie tatsächlich existierende, zahlende Fanbase aufzubauen. Wenn ihnen diese Chancen genommen werden würde, wäre das fatal für sie und für eine florierende, diverse Musiklandschaft.


Just hearing about this absolute ridiculousness... so wildly uncool and bizarre and also just does not remotely add up. I’ve only seen everyone’s total excitement and couldn’t be luckier or prouder to share a stage with this talented wonder. Stream everything she’s ever made whether or not you’re coming to the show. Dora forever and ever.

Gracie Abrams über die Petition, via Instagram/Stereogum

 

TikTok-ifizierung von Konzerten


Aus meiner Sicht spielen dabei die Covid-Pandemie und steigende Realitätsferne durch Social Media eine Rolle. Konzert-Etikette ist in der Post-Pandemie-Zeit immer schlechter geworden und es wird weniger Rücksicht aufeinander genommen. Vor allem aber wird der fehlende Respekt gegenüber Opening Acts immer deutlicher, was die Petition nur auf die Spitze treibt. Wenn Gracie Abrams-Fans online spekulieren, dass Sabrina Carpenter für sie öffnen oder in relevanteren Städten wie London doch Taylor Swift Special Guest sein könnte, ist es kein Wunder, dass eine Musikerin wie Dora Jar zunächst auf Ablehnung stößt. Ich verstehe nicht, warum man sich nicht auf neue Acts einlassen kann und auch nicht, woher der Anspruch kommt, dass man einen Opener kennen müsse. Vermutlich geht ein Teil davon auf die TikTok-ifizierung von Konzertkultur zurück. Unsere Redakteurin Kaja hat sich in einem Kommentar mal näher mit TikTok und dessen Einfluss auf die Konzertkultur befasst.

 

Wahrscheinlich gehen auch die hohen Opener-Ansprüche darauf zurück. Es geht immer nur darum, dass die eigene Tour-Show besonders sein muss. Es muss irgendetwas aus der Reihe passieren, einen mega krassen Überraschungsgast geben oder übermäßige Fan-Interaktion. Konzerte von Artists mit einem großen Social Media-Hype und einer stark virtuell agierenden Fanbase werden zu richtigen Happenings stilisiert. Das kreiert nicht nur Druck auf den Artist selbst, sondern eben auch auf die Supports. Es wird Zeit, sich auf den ursprünglichen Zweck von Support-Acts zurück zu besinne. Das würde allen Seiten helfen, ein Konzert tatsächlich "memorable" zu machen.


Back to Basics

 

Am Ende des Tages wünsche ich mir, dass sich wieder offener und respektvoller gegenüber Support-Acts verhalten wird. Es kann niemals der Geschmack von jeder anwesenden Person getroffen werden, und am Ende sind wir alle für den Hauptact da. Das weiß der Support-Act aber auch, was die Situation schwer genug macht. Ich wünschte, es wäre common sense, diesen Musiker:innen ein Mindestmaß an Respekt gegenüber zu bringen und während der Show nicht zu reden, nicht zu stören und einfach am Ende jedes Songs zu klatschen. Niemand zwingt Fans dazu, den Support-Act danach privat zu hören, aber es ist doch wohl nicht zu viel verlangt, sich mal für eine halbe bis dreiviertel Stunde nicht wie das größte, ignoranteste Arschloch aufzuführen. Die Personen auf der Bühne sind Menschen. Menschen mit Gefühlen, die Zeit, Geld und Herzblut in ihre Kunst gesteckt haben. Und bei kleineren Shows können sie übrigens oft alles hören, was ihr euch in den ersten Reihen so erzählt.

Comments


bottom of page