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AutorenbildKaja

Leoniden im Interview: Zwischen Traurigkeit und Selbstoptimierung

Fröhlichkeit ist Mangelware: Die Leoniden veröffentlichen heute Nacht ihr viertes Studio-Album Sophisticated Sad Songs. Ein Album, auf dem die Kieler Band einmal mehr beweist, dass Melancholie nicht immer leise ist. Im Rahmen des Sound of the Forest hat Kaja sich mit Sänger Jakob und Gitarrist Lennart in einem Backstage-Container mitten im Odenwald zum Interview versammelt.

Leoniden Pressefoto Sophisticated Sad Songs

Seit eurem letzten Album Complex Happenings Reduced To A Simple Design ist sehr viel passiert. Kleine Challenge zum Anfang: Könnt ihr die letzten drei Jahre einmal kurz zusammenfassen?


Lennart: Das letzte Album haben wir 2021 veröffentlicht, während noch richtig Pandemie war. Als Band, die komplett darauf angelegt ist, live zu spielen, waren wir damit sehr überfordert. Wir mussten nach dem Albumrelease ein Jahr warten, bis wir diese ganzen Nachholkonzerte spielen konnten, die eigentlich für 2020 geplant wurden. Ende 2022 war dann endlich alles abgehakt und wir brauchten erstmal einen Neustart. Dann haben wir uns sortiert und angefangen, die neue Platte richtig ernst zu nehmen. Und damit waren wir bis vorgestern beschäftigt, sozusagen (lacht).


Außerdem ist Marike in die Band gekommen und hat JPs Position übernommen. Wie hat das eure Bandkonstellation verändert?


Jakob: Es ist richtig heftig, was Marike mit reingebracht hat – auch was den Schreibprozess anbelangt. Wir haben uns in dem Zug als Band nochmal in jeder wichtigen Dimension neu orientiert und hatten richtig Zeit dafür, zu überlegen, wie das Album überhaupt klingen soll.


In einem Interview vor ziemlich genau einem Jahr, habt ihr angekündigt, dass diese Platte im Gegensatz zum Vorgänger kompakt wird. Eure Live-Shows sind kurz, das Album ist kurz. Glaubt ihr, für mehr reicht die Aufmerksamkeitsspanne der Zuhörenden nicht?


Jakob: Die Zeit, in der man Musik hört, ist absolut relativ zu dem, was man für Musik hört, glaube ich. Deswegen dauern Math-Core-Noise-Alben immer nur 15 Minuten und danach ist man durch und schnulzige Fahrstuhlmusik kann man vier Stunden lang hören. Das, was wir machen, fordert von uns viel und auch vom Publikum. Wir merken bei Konzerten schon, dass nach 80 Minuten ein guter Punkt ist, um aufzuhören.


Lennart: Unsere Konzerte sind relativ wild. Da merkt man schon ab und zu "Oh, ihr könnt alle nicht mehr" und guckt in hunderte erschöpfte Gesichter (lacht). 


Jakob: Fairerweise sagen Lennart und ich auch sehr oft auf Festivals "Lass die Band anschauen, die sind richtig krass" und gehen dann nach acht Minuten wieder weg (lacht).


Lennart: Wir sind selbst schon sehr ungeduldige Menschen. Aber in Zukunft spielen wir länger, so 90 Minuten. Es braucht keine dreieinhalb Stunden Taylor Swift Show, das würde man bei uns nicht durchhalten. Aber ich finde, wenn Bands mehr Musik haben, dass man dann länger spielen kann.



Letztes Jahr wart ihr ausnahmsweise nicht auf eigener Tour. Ich mutmaße im Hintergrund der Lyrics von "Motion Blur", dass das eine bewusste Entscheidung war, um Pause in die ständige Bewegung zu bekommen?


Lennart: Wir wollten erstmal ein Album machen – und zwar ganz in Ruhe. Das war wirklich schwer, diesem Impuls der Tour zu widerstehen. Aber wir haben gemerkt, dass wir anfingen, in einen Trott zu geraten und es tat sehr gut, dass wir uns die Tour verkniffen haben. So konnten wir Marike richtig in die Band integrieren und hatten wirklich Zeit gemeinsam zu fünft eine Platte zu schreiben und neue Ideen zu entwickeln - auch für die Tour, die jetzt kommt.


Sophisticated Sad Songs ist das erste Album, dass ihr live eingespielt habt. Jetzt wart ihr eigentlich schon immer primär eine Live-Band – warum habt ihr so lange damit gewartet?


Lennart: Das ist einfach eine Machbarkeitsfrage.


Jakob: Erstmal das Studio zu finden, und zu wissen, wie man sich darauf vorbereitet. Wir haben diese live eingespielten Takes auch eher verwendet, um eine Energie-Referenz zu haben. Da wollten wir einfach gucken, wo der Song ist, wenn wir den zusammen spielen und haben es final trotzdem nochmal einzeln aufgenommen. Wenn man wirklich eine Live-Platte macht, geht das schon krass auf die Kosten des Sounds und klingt sehr staubig. Und selbst dann wirkt es immer noch nicht so wie auf der Bühne.


Lennart: Die letzten Platten haben wir wirklich zwischen Tür und Angel aufgenommen. Jakob ist zwischen zwei Festivals nach Hamburg geflogen, um Gesang aufzunehmen. Wir waren als Band selten gemeinsam im Studio. Das war mit den Kapazitäten, die wir für diese Platte freigeräumt haben, jetzt endlich möglich. Es ist so eine große Errungenschaft für uns, dass wir ein Jahr lang ins Studio gehen konnten, ohne dass das für uns einen finanziellen Totalschaden bedeutet. Wir haben davor groß genug gespielt, dass wir diesmal einfach nur Musik machen konnten, ohne in diesen Druck zu geraten, dass man direkt wieder auf Tour fahren muss.


Jakob: Wir konnten uns einfach Experimente erlauben und haben zum ersten Mal die Hälfte der Songs, die wir geschrieben haben, nicht auf's Album genommen. Das war ein superschöner geduldiger Prozess.


Das Album heißt Sophisticated Sad Songs. Das ist ein überraschender Titel, wenn man an eure Shows denkt und nicht auf eure Texte achtet. Wieso wollt ihr diese Ambivalenz zwischen traurigen Texten und energetischen Songs?


Jakob: Da ist ja witzigerweise gar keine Ambivalenz. Das wäre: Wir spielen einfach eine Gute-Laune-Show, grinsen alle und haben keine Tiefe und würden dann trotzdem behaupten, dass wir traurige Musik machen. Aber wir haben wirklich keinen einzigen fröhlichen Song. Wir beide haben Musik auch einfach so gelernt.


Lennart: Ich höre nicht mal fröhliche Musik.


Jakob: Ich bin sogar fast allergisch gegen fröhliche Musik – außer Djamin hört "Party All The Time" von Eddie Murphy (lacht).


Lennart: Ich glaube auch, dass man in ehrlicher Kunst immer etwas verarbeitet und ich muss selten gute Laune verarbeiten. Wir schreiben die Texte einfach aus Situationen und Gedanken, die uns bewegen und uns nachts nicht einschlafen lassen. Mit dem Albumtitel wollten wir das mehr inszenieren, um das mal klarzustellen. Manchmal haben wir Angst, dass wir da missverstanden werden.


Leoniden Albumcover Sophisticated Sad Songs

Jakob: Was aber auch nicht heißt – deswegen auch das Albumcover dazu – dass man auf unseren Konzerten traurig und innig sein soll. Das ist auch das Schöne: Wenn man einen schlechten Tag in einem Song verarbeitet und das auf einem Konzert manifestiert und wiederholt und ritualisiert, bekommt man daraus einen schönen Tag zurück.


Lennart: Beim Albumcover hatten wir vorher auch ziemlich befindliche und emotionale Versionen. Aber Musik, die Tiefe hat und traurig ist, muss nicht so klingen und aussehen wie Radiohead oder die Unplugged Session von Nirvana vor einem schwarzen Hintergrund mit weißen Lilien. Die kann auch auf Konzerten stattfinden, wie bei uns.


Anstatt mit der brennenden Welt setzt ihr euch auf diesem Album mehr mit euch selbst auseinander. Es geht natürlich wieder um die Liebe, aber auch viel um Selbstoptimierung – beziehungsweise die Kritik daran. In welchen Aspekten verspürt ihr denn den Druck, euch selbst zu optimieren?


Jakob: Immer und überall. Das ist das Gute und gleichzeitig das Problem. Ein lernender Mensch ist ja erstmal etwas Schönes. Das wollten wir aber mal kritisch beleuchten. Das Album ist zwar schon ein ich-bezogenes Album, aber ich bin mir hundertprozentig sicher, dass wir da auch zeitgeistig relevante Sachen ansprechen, denen man aktuell ausgesetzt ist.


Das kann man komplett auf den gesellschaftlichen Selbstoptimierungswahn übertragen.


Jakob: Die Zeit des Vergleichs ist so richtig da. Deshalb ist auch "Motion Blur" der Opener, weil der die Zeile "I never was enough / Cause I could always be much better" hat. So einen Satz hört man gerne von einem wachsenden Menschen, der Mitte zwanzig ist. Wenn aber jemand auf seinem Sterbebett sagt, ich war eigentlich nicht genug, ich hätte noch besser sein können, ist das schon traurig. Es ist halt die Frage, wann dieser Punkt der Zufriedenheit kommt, ohne dass man resigniert. Weil man will ja offen bleiben und die Bewegung der Welt weiter aufnehmen, aber da ist auch immer dieser Druck dabei.


Muss man sich frei von diesem Druck machen, um ein gutes Album zu schreiben?


Lennart: Man muss sich gut kennen, um zu wissen, ab wann man spinnt, und wann das eine gute intrinsische Motivation ist, die einen da antreibt. Du kannst dich immer hinstellen und sagen, es geht noch besser. Das Ziel, besser zu werden, das sollte man auch nicht aufgeben. Es ist nur schwer, da den Punkt zu finden und das macht viele Leute wahnsinnig und krank. Davor muss man sich schützen.


Als Antwort auf die Selbstoptimierung gab es auf dem letzten Album mit "Freaks" schon eine Hymne auf das Losertum. Auf diesem Album ist es nicht nur ein einzelner Song, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch das Album. Was macht das Losertum für euch aus?


Lennart: Das kommt drauf an, wen du fragst. Es gibt Leute, für die sind wir wahrscheinlich die größten Loser, die man sich vorstellen kann, weil sie alle vernünftige Jobs haben und ganz regulär ordentlich Geld verdienen und an Standards orientiert erfolgreich sind. Für die sind wir hängengebliebene Trottel, die irgendeinem Traum hinterher eifern. Es gibt aber auch Leute, die wollen gerne eine Rockband gründen. Für die sind wir bestimmt eine wichtige (überlegt lange…) Referenz. Die sagen dann: "Geil, so wollen wir das auch machen".


Jakob: Vielleicht geht es uns darum, damit cool zu sein, dass man aus der Sicht mancher Leute nicht cool ist.


Lennart: Eine spannende Entwicklung ist auch, dass man heute in vielen Dingen erfolgreich sein kann, von denen andere Leute überhaupt nichts verstehen. Vor ein paar Jahrzehnten war die Gefahr, dass man da falsch verstanden wird, wesentlich geringer. Da gab es deutlich klarer definierte Bereiche, in denen die Leute erfolgreich waren. Ich finde das interessant, dass du heute sehr erfolgreich Musik machen kannst und die allermeisten Menschen haben trotzdem nichts von dir gehört. Früher kannte die jeder Mensch. Das finde ich gut, dass das heute anders ist. Aber die Kehrseite davon ist eben, dass man dann subjektiv gesehen für andere Leute ein Loser ist.



Der letzte Song des Albums ist "Tinnitus". Da singt ihr "I saw the wrongs of the past in the new songs". Welche Fehler habt ihr früher beim Musikmachen gemacht, die ihr jetzt dringend vermeiden wolltet?


Jakob: Das Overthinking kritischer beobachten. Und auch, wenn wir bekloppte Song-Ideen hatten, die dann so richtig auszuspielen. Es gibt ein Detail im Producing, das nennt man Ear-Candy. Die hört man nur, wenn man auf Kopfhörern im stillen Zimmer zuhört. Ear-Candies wollten wir auf diesem Album vermeiden und stattdessen Ear-Vorschlaghammer einbauen. Wenn irgendwo ein komischer Sound war, wollten wir den auch präsentieren. Das Ende von Tinnitus ist dafür ein Beispiel – wirklich, lauter geht's nicht, bevor die Boxen abrauchen.


Lennart: Bei den Platten vorher waren wir immer unsere strengsten Kritiker. Wir haben uns Sachen verboten, von denen wir dachten, das können wir den Leuten nicht zumuten. Wir haben uns immer selbst zu einer poppigen Entscheidung getrieben, weil wir damit das Feedback von außen vorwegnehmen wollten, von dem wir dachten, dass es sonst kommt. Das kommt aber überhaupt nicht. Da waren wir immer viel zu vorsichtig und das Ziel war, hier mutiger zu werden und dazu zu stehen, dass wir chaotische, verrückte, laute Musik machen.


Weil, und das ist mir ganz wichtig, wenn man so auf das Line-Up vom Sound of the Forest hier schaut: Wir sind musikalisch gesehen mit Abstand die größten Freaks hier. Wenn du sonst nur Deutsch-Pop hörst, sind wir wirklich eine Zumutung. Denn der Trend in Deutschland ist aktuell: Deutschsprachig, macht das so, dass das auf TikTok funktioniert und schreibt den achthundertsten belanglosen Deutsch-Pop-Du&Ich-Liebesliedscheiß. Ich bin superstolz darauf, dass wir trotzdem Headliner-Slots spielen und dass wir auf den großen Festivals auf ernstzunehmende Plätze gebucht werden.


Jakob: Zu der Zeile will ich noch sagen, dass es auch eine ultimative Weltschmerz Zeile ist. Ich singe auch "I saw the wrongs of the past in the present". Wo wir die Dreißig jetzt auch mal geknackt haben, merkt man, wie lernresistent diese Welt manchmal ist. Man denkt, es sollte doch so einfach sein, wenn man 70 Jahre zurückschaut und sagt, wiederholen wir lieber nicht. Das war schon ein krasser Moment der Hilflosigkeit.


Warum ist das der letzte Song?


Jakob: Das Ende von "Calculator" haben wir zum ersten Mal so laut gedreht, wie es geht. Ab dem Song hört man in den Pausen zwischen den Songs immer einen ganz leisen Tinnitus.


Lennart: Der wird immer lauter.


Jakob: Und am Ende ist dann der Tinnitus, das was bleibt.


Lennart: Man sollte vielleicht nicht seine eigenen Metaphern erklären, aber wir wollten den ab dem siebten oder achten Song so laut werden lassen, dass man das Gefühl hat, es geht was kaputt.


Jakob: Das hätten wir zum Beispiel vorher nie gemacht. Da hätten wir gesagt: "Nein, dann kann man das nicht im Radio spielen!" Jetzt haben wir gesagt: "Das ist ein geiler Gag, hab ich vorher noch nie gesehen, machen wir." Und dann endet der Song am Ende aber auch sehr emotional mit diesem Mantra "Ich reiß mich zusammen, bis es vorbei ist."


Zum Schluss noch eine selbstreferenzielle Sache: Jakob, punktierte Noten sind deine Lieblingsnoten. Hier ist Platz für deine persönliche Liebeserklärung an punktierte Noten:


Jakob: Punktierte Noten sind die beste, verständlichste Verschiebung, die man machen kann, die sofort groovy ist. Dafür muss man nicht Musik studiert haben. Ich würde fast sagen, es gibt keinen Leoniden-Song ohne punktierte Noten.


 

Sophisticated Sad Songs erscheint am 23. August 2024 via Two Peace Signs Records.

 
 

TOURDATEN

 

SOPHISTICATED SAD SONGS - RELEASESHOWS

29.08.24 Düsseldorf

30.08.24 Kiel

SOPHISTICATED SAD SONGS - TOUR 2024

10.10.24 Hannover

11.10.24 Leipzig

12.10.24 Salzburg

13.10.24 Fulda

16.10.24 Nürnberg

18.10.24 Wien

19.10.24 Prag

24.10.24 Frankfurt am Main

25.10.24 München

26.10.24 Münster

31.10.24 Magdeburg

01.11.24 Köln

02.11.24 Erfurt

03.11.24 Freiburg im Breisgau

06.11.24 Zürich

07.11.24 Stuttgart

08.11.24 Saarbrücken

09.11.24 Heidelberg

14.11.24 Rostock

15.11.24 Hamburg

16.11.24 Berlin

21.11.24 Frederika

27.11.24 Venlo

28.11.24 Amsterdam

29.11.24 Brüssel

30.11.24 Paris

02.12.24 Birmingham

03.12.24 Manchester

04.12.24 Dublin

05.12.24 London

06.12.24 Bristol

07.12.24 Cornwall

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