Die Haftbefehl-Story: Marketing statt Prävention
- Birte

- vor 21 Minuten
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Rapgott Haftbefehls Geschichte ist seit geraumer Zeit in den Netflix-Charts, im Schlepptau eine Diskussion über Voyeurismus, Glorifizierung und Hip Hop-Kultur. Warum der Film für eine erfolgreiche Drogenprävention nicht genug ist und Verantwortung zum Job eines Journalisten gehört.

Es ist der 28. Oktober 2025 und das Internet explodiert. Boulevard-Zeitungen veröffentlichen Interviews mit Ärtz:innen darüber, wieso Hafti keine Nase mehr hat und in den sozialen Medien zeigen sich Rezipient:innen mitgenommen. Regie des Dokumentarfilms Babo: Die Haftbefehl-Story übernehmen Sinan Sevinç und Juan Moreno, die Aykut Anhan bei seinem Rap-Dasein als Haftbefehl drei Jahre lang begleiten. Hafti rappt, Hafti blutet aus der Nase, Hafti singt zu Reinhard Mey und Hafti führt Selbstgespräche. Es geht um einen traumatisierten Menschen, der ein Rockstar-Leben führt – inklusive 25 Jahre Koks. Kurz danach erscheint ein Interview im Spiegel Short Cut:
"[Es ist eine Doku…] über Drogenmissbrauch. Eigentlich ein großes Plädoyer dafür: Lasst die Finger von diesem Zeug. Wenn ihr jung seid und auch wenn ihr Deutschrap hört und denkt es wäre cool", sagt Juan Moreno seiner Kollegin. Er ist Journalist und Spiegel-Redakteur, bekannt für die Aufdeckung des Falls Relotius. In der Dokumentation fällt kein Wort, keine Einordnung, was Drogenkonsum für Folgen haben kann oder was Expert:innen dazu sagen.
Drogen sind schlecht, schaut her!
Stattdessen setzt der Film einzig und allein auf die Methode der Abschreckung: Oh nein, Hafti hat sich die Nase weggekokst. Klar, hat man noch nie konsumiert, sieht das erstmal nach absoluter Selbstverletzung aus. Aber ist das für alle so? In einem Instagram-Post erzählt Maximilian Pollux, Autor und Anti-Gewalttrainer, von seinen eigenen Cravings nach der Doku.
In den 60ern wird in der Drogenprävention auf Abschreckung gesetzt: Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo "sollte v. a. durch Verteufelung und Mythisierung der Substanzen und deren Konsumierenden [abschrecken] und somit vor Missbrauch schützen", schreiben H. Stöver und L. Hornig 2023 in Suchtprävention in der Sozialen Arbeit. Und damals wurde das schon kritisch hinterfragt. Heute ist Abschreckung als "nicht mehr als zeitgemäß […] und als bereits überholt einzustufen". Wenn überhaupt "[…] müssen neben den langfristigen schädlichen Folgen des Substanzmissbrauchs vor allem die unmittelbar erfahrbaren negative Folgen und Konsequenzen für eine Wirkung herausgearbeitet und sichtbar gemacht werden – wie beispielsweise Gefahren bei der Schwangerschaft oder im Straßenverkehr". Das heißt, Informationen, Einordnung und Aufklärung. Der Film zeigt Haftbefehl vor einem Konzert zugedröhnt hinter dem Steuer seines Autos.
"Es ist eigentlich ein Film der jungen Leuten zeigen soll, was Drogen mit einem anrichten können", erklärt Juan Moreno gegen Ende des Interviews.
Aber was zeigt die Haftbefehl-Doku?
Aykut Anhan erfährt früh ein traumatisches Erlebnis, verarbeitet sein Aufwachsen in einer Hochhaussiedlung in Offenbach mit Musik, erfindet Deutschrap neu und kokst sich dann fast in den Tod. Und das ohne eine Einordnung. Nach und nach zeigt sich sein Umfeld besorgt, sein Bruder bringt ihn in eine Klinik. Danach wird weiter gemacht, bis er keine Nase mehr hat. Haftbefehl erfährt bis auf seinen körperlichen Zerfall keine sozialen oder beruflichen Konsequenzen, zumindest keine, die wir der Doku entnehmen können. Denn Haftbefehl ist eben ein Rockstar und der macht was er will – auch verballert Verträge unterschreiben und dann ein ausverkauften Konzert spielen. An dieser Stelle will uns Juan Moreno weiß machen, dass man die Musikindustrie, die dahinter steht ausklammern muss: "Das ist ein erwachsener Mann, der weiß was er tut. Also ich will den Manager in einer Musikindustrie sehen, der Aykut davon abhält, in Frankfurt, in seiner Heimatstadt, umgeben von tausenden von Fans, das Konzert abzusagen". Man könne ja noch andere Filme machen, in denen man die Musikindustrie kritisiert, "aber [Babo] war primär ein Porträt über einen Künstler". Das Haftbefehl und die Musikindustrie unmittelbar miteinander verwoben sind, wird gekonnt ignoriert, wie Matilda hier zeigt:
Sie erklärt im Video, dass Haftbefehls Zusammenbruch kein Einzelfall sei, sondern das Ergebnis systematischer Strukturen, die von Leistung, Persönlichkeits-Vermarktung und Abhängigkeiten leben. Die Musikindustrie ist laut ihr extrem leistungsorientiert: schneller, höher, weiter, ohne auf Grenzen zu achten. Dabei führe schneller Erfolg zu großer Verantwortung, der junge Artists oft nicht gewachsen seien. Manager und Labels würden nur profitieren, wenn Artists abliefern. Diese Missstände aufzuzeigen könne den eigenen Arbeitsplatz kosten.
Hinzu komme, dass die historischen Wurzeln des Raps reale, marginalisierte Lebensrealitäten sind, die in der kommerziellen Musikbranche aber zur Marketingstrategie werden. Echte Struggles werden (bewusst) nicht erkannt, die Selbstzerstörung wird Teild des Künstler:innen-Images.
Wo bleibt die Verantwortung?
Der Verantwortung, die mit einem Film über Drogen einhergeht, gehen die Filmemacher so nicht nur aus dem Weg, sie leugnen sie. Der preisgekrönte Journalist Moreno hält es hier nicht für nötig einen jahrelangen Missbrauch von Drogen mit nur einem Satz kritisch einzuordnen, und damit seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachzugehen. Keine Expert:innenstimmen, nur Jan Delay und ein Manager, der sagt, dass Haftbefehl unzuverlässig war. Babo distanziert sich von klaren Aussagen, verschiebt die Verantwortung, sowohl auf später, als auch auf die Rezipient:innen. Sie dürfen dann sehen, wie sie mit gezeigten Szenen zurecht kommen. Haftbefehl ergänzt bei seinem ersten Auftritt nach Veröffentlichung: "Ihr habt bestimmt alle meine Doku gesehen. Ich wollte euch noch sagen, ich bin clean. Und ich hoffe, ihr bleibt es auch. Scheiß auf Drogen!"
Scheiß auf Drogen. Stimmt, endlich sagt es mal jemand, nachdem die "Doku" das 92 Minuten lang vergisst. Das schöne daran: Der Diskurs über den Film hält Wochen danach an, er bewegt, er verarbeitet und das verbal. Wir müssen uns über den Film austauschen um zu verstehen, was der Film mit uns macht. Denn: Wir bekommen eine Lebensgeschichte gezeigt. Aykut Anhan aka Haftbefehl, der mit seiner direkten und authentischen Art ein ganzes Genre und einhergehend eine Lebensrealität verkörpert, die im deutschen Bundestag diskreditiert und stumm gemacht werden soll. Und mehr will er eigentlich auch nicht, nur "[…] dass meine Geschichte richtig erzählt wird, aus meiner Sicht", sagt Anhan am Anfang des Films. Genau deshalb ist es falsch dem Film eine Hülle der Prävention überzustülpen, ihm eine Intention zuzuschreiben, weil man ein größeres Streben braucht. Juan Moreno stampft damit die Glaubwürdigkeit eines guten cineatischen Porträts einer wichtigen deutschen Stimme in den Boden.
Wir haben diesen Film gebraucht, um Diskurse aus ihrer Bubble in den Mainstream zu holen, um einer breiten Masse von Rezipient:innen eine Lebensrealität näher zu bringen. Und trotzdem dürfen wir nicht ausblenden: Babo – Die Haftbefehl-Story ist ein subjektives Porträt, nicht weniger, aber auch nicht mehr.





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